Abschnittsübersicht
-
-
4.1 a) Flächenform
Welche Formen finden sich im Bild? Welche Wirkungen lassen sich hiervon ableiten?
Geometrische Formen
Geometrische Formen reduzieren die Formvielfalt extrem, das Wiedererkennen eines Gegenstandes wird vernachlässigt zugunsten eines einheitlicheren Gesamtergebnisses. Betont werden Struktur, Gleichmäßigkeit und Rationalität.
Paul Klee: Feuer bei Vollmond, 1933
Aquarell mit Wachsfarben übergangen, 50 x 60 cmAmorphe Formen
Das Gehirn versucht in jeder Form einen Gegenstand zu erkennen, auch wenn er durch die Form gar nicht repräsentiert werden soll. Es lassen sich also solche amorphen Formen im Bild nutzen, die mit dieser Eigenschaft des Gehirns spielen. Auch ohne eine gegenständliche Zuordnung lassen sich von solchen Formen Wirkungen ableiten.
Gerhard Richter: Abstraktes Bild, 1980
Öl auf Holz, 40,1 x 60 cmhttps://kettererkunst.de/still/kunst/max/401/112003022.jpg
Realitätsgetreue Formen
Eine realitätsgetreue Darstellung nutzt die Form der dargestellten Gegenstände. Sie besitzen unabhängig von ihrer Verwendung Eigenschaften, von denen man Wirkungen ableiten kann.
Rudolf Dischinger: Elektro-Kocher, 1931
Bleistift, 57 x 68,5 cm -
4.1 b) Lineare oder malerische Sichtweise
Die lineare Sichtweise geht von der Form der Gegenstände aus. Die Konturen und die Plastizität werden durch diese Art der Malerei besonders betont dargestellt. Die Beschaffenheit der Dinge ist wichtig. Das Bild ist die Summe der einzelnen Gegenstände.
Hans Holbein d.J.: Porträt des Kaufmanns Georg Gisze, 1532
Öl auf Holz, 96 x 86 cmDie malerische Sichtweise versucht dagegen die Gesamtheit einer Situation darzustellen. Details von Gegenständen stören eher, es ist vergleichbar mit einem Blick bei fast zugekniffenen Augen. Die Farbe und der Farbauftrag gewinnen hierbei an Freiraum, sie lösen sich vom Zwang einen Gegenstand perfekt darstellen zu müssen: fleckenhafter Auftrag, Pinselduktus, Lichtstimmungen …
Oskar Kokoschka: Selbstporträt, Fiesole, 1948
Öl auf Leinwand, 65,1 x 54,9 cm -
4.1 c) Proportion
Proportionen, also Verhältnisse von Teilen zum Ganzen, werden oft anhand von kulturellen oder modischen Vorstellungen bewertet.
Natürliche Proportion
Ein aus der Realität abgeleitete Proportion, die als nicht besonders auffällig erscheint, würde als eine natürliche Proportion angesehen werden.
Ideale Proportion
Bereits in der Antike hat man versucht eine besonders harmonische Proportion des menschlichen Körpers zu definieren. Der römische Architekt Vitruv hat das Schema entwickelt, wonach der Körper in 8 Kopflängen geteilt werden kann. Dieses Schema ist aber nur bei wenigen „echten“ Menschen nachweisbar, es stellt also eben ein Ideal an Harmonie dar. Ideale sind eben nicht real. In der Renaissance suchte man nach einem göttlichen Harmonie-Prinzip.
Leonardo da Vinci: Das Schema der Proportionen des menschlichen Körpers, 1485-90
Feder, Tinte und Aquarell über Metallstift, 34,4 x 24,5 cmVerzerrte Proportion
Eine Verzerrung von Proportionen bewirkt emotionale Reaktionen. Dies wird z.B. in expressiven Bildern genutzt.
Ernst Ludwig Kirchner: Potsdamer Platz, 1914
Öl auf Leinwand, 200 x 150 cmhttps://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9d/Ernst_Ludwig_Kirchner_-_Potsdamer_Platz.jpg
Die Höhe des Kopfes entspricht normalerweise ungefähr der Hälfte der Schulterbreite. Wenn man die Verzerrung der Frau aus Kirchners Bild entfernt, indem man sie auf diesen Wert hin in die Breite zieht, wird die Verzerrung im Bild „Potsdamer Platz“ insgesamt deutlich.
Wenn die natürlichen Proportionen einer menschlichen Figur zugrunde gelegt werden, müsste das gesamt Bild für eine Entzerrung entsprechend in die Breite gezogen werden, was die Wirkung des Bildes extrem verändern würde.
-
4.1 d) Stofflichkeit
Ist erkennbar, aus welchem Material der dargestellte Gegenstand besteht?
Stofflichkeit liegt vor, wenn durch unterschiedliche Malweise verschiedene Materialien und deren spezifische Oberflächenbeschaffenheit im Bild erkennbar werden.
Nicht gemeint ist hier der "Stoff" im Sinne von Kleidung. Stattdessen wird gefragt, ob z.B. der erkennbare Tisch aus Holz, die Vase aus Porzellan oder das Brot als Brot erkennbar sind.
Die grüne Fläche in Matisse Bild ist vermutlich Rasen. Man erkennt ihn aber nur an dem Farbton, der aber auch nicht differenziert wird, und an der Position unterhalb der Füße der Personen. Einzelne Grashalme sind z.B. nicht dargestellt. Die Stofflichkeit ist hier sehr gering ausgeprägt.
Henri Matisse: Der Tanz, 1909-1910
Öl auf Leinwand, 259 x 391 cmhttps://arthive.net/res/media/img/oy1000/work/8fe/449398.jpg
In Noldes Bild werden "falsche Farbtöne" (z.B. für die Haut) und Farbtöne ohne gegenständlichen Bezug (Hintergrund) eingesetzt. Man weiß, welcher Gegenstand es ist - z.B. Haut oder Kleidung -, dies ergibt sich aber aus der Form und nicht aus der Farbgestaltung.
Emil Nolde: Im Badetrikot, 1930
Aquarell, 48,2 x 33,5 cmhttps://arthive.net/res/media/img/oy1000/work/8fe/449398.jpg
Bei Pearlstein werden z.B. Kleidung und Haare in ihrer Materialbeschaffenheit (Falten, Strähnen, Glanz, Stumpfheit) dargestellt. Man erkennt sehr gut, um welche Materialien es sich handelt. Hier ist der Grad an Stofflichkeit sehr hoch.
Philip Pearlstein: Mr and Mrs Edmund Pillsbury, 1973
Öl auf Leinwand, 121.9 x 152.4 cmhttps://fr.wahooart.com/Art.nsf/O/A25E6J/$File/Philip_Pearlstein-Edmund_pillsbury.JPG
-