Abschnittsübersicht

    • 4.6 a) Dominierende Richtungen

       

      Formataufteilendes Achsengerüst

      Innerhalb des Bildrechtecks ergeben sich die beiden Diagonalen (aufsteigende, fallende), die Mittelsenkrechte und Mittelwaagerechte. Diese unsichtbaren Linien werden beim Betrachten des Bildes unwillkürlich mitgesehen, die Lage der einzelnenen Bildelemente wird im Verhältnis zu diesen Linien und der Gesamtfläche wahrgenommen. Liegen sie auf den Linien, wird es als eher angenehm empfunden. Liegen sie dazwischen, entsteht ein unausgewogener Eindruck, der eher unangenehm wirkt.

       

      Caspar David Friedrich 013

      Caspar David Friedrich: Die Lebensstufen, ca. 1834
      Öl-Farbe auf Leinwand, 72,5 x 94 cm

       

      Richtungsbeziehungen

      Die Form einzelner Bildelemente kann eine Ausrichtung in eine Richtung darstellen. Bei Personen könnte es der ausgestreckte Arm, bei Gegenständen z.B. die Ausrichtung einer Lanze sein. Es können aber auch Blickrichtungen innerhalb des Bildes sein, z.B. Personen, die sich anblicken. Daraus ergeben sich zunächst einmal Wirkungen, die als Gefahr, Aggression, Zuneigung, Annäherung usw. beschrieben werden könnten. Natürlich wird dies auch in der abschließenden Interpretation eine Rolle spielen.

      Artemisia Gentileschi: Judith und Holofernes, ca. 1620
      Öl auf Leinwand, 199 x 162,5 cm

      https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Artemisia_Gentileschi_-_Giuditta_decapita_Oloferne_-_Google_Art_Project.jpg?uselang=de

    • 4.6 b) Ordnungsstrukturen

       

      Axialsymmetrie

      Die Spiegelung an einer Bildachse sorgt für einen symmetrischen und ausgewogenen Eindruck.

      Edvard Munch: Totentanz, 1915 
      Lithographie, 50,2 x 28,9 cm

      Reihung

      Eine Aufreihung von Bildobjekten nebeneinander zeigt ihre gleichmäßige Wertung. Sie werden zur Begutachtung nebeneinander präsentiert. Dies vermittelt oft eine ruhige Wirkung.

      Ballung

      Hierbei sammeln sich Bildobjekte zu einer Gruppe, die oft in der Bildmitte zu finden ist. Dies betont eine Abgrenzung von der Umgebung und gleichzeitig eine irgendwie geartete Gemeinsamkeit der Bildobjekte. Dies wirkt im Sinne einer Betonung oft etwas spannender als bei einer Reihung.

       

      Streuung

      Hier werden Bildgegenstände scheinbar beliebig auf der Bildfläche verteilt, ein Prinzip lässt sich nicht erkennen. Dies vermittelt einen zufälligen Eindruck, der auf eine Alltagssituation verweisen kann. Es wirkt oft beliebig, zufällig, chaotisch ...

       

    • 4.6 c) Kompositionsschemata

       

      Goldener Schnitt

      Abgeleitet von Proportionen in der Natur werden hier Verhältnisse von Bildteilen zueinander bestimmt. Dies kann sich auf Größenverhältnisse von Bildgegenständen zueinander beziehen, hier wird aber die Aufteilung der Bildfläche betrachtet. Eine vereinfachte Relation der Teile zueinander lässt sich mit 2 zu 3 beschreiben. Das DIN A4 Papier entspricht ungefähr diesem Verhältnis. Da wir diese Proportionen sehr häufig - unbewusst - sehen, wirken sie auf uns normal bzw. "schön". 

       

      Dreieckskomposition

      Steht ein Dreieck auf einer Längsseite, steht es stabil. Auf einer Spitze kann es nicht stehen, es würde kippen und wirkt insofern instabil. Dies lässt sich in der Aufteilung der Bildfläche und der Anordnung von Bildgegenständen nutzen. 

       

      Diagonalkomposition

      Die Diagonalen im Bildrechteck werden als eher positiv (aufsteigend, von links unten nach rechts oben) oder negativ (absteigend, von links oben nach rechts unten) wahrgenommen. Dies hängt von der Leserichtung ab und könnte in anderen Kulturen anders wahrgenommen werden. Ein Vergleich mit den Aktienkursen könnte dies aber bestätigen. Auf jeden Fall bewirkt diese Komposition eine dramatische und dynamische Wahrnehmung.

       

      Kreiskomposition

      Hier werden die Bildgegenstände in einer Kreisform angeordnet, was zu einer teils dynamischen evtl. aber auch zu einer in sich abgeschlossenen Situation führen kann.

       

      Ovalkomposition

      Dies ist eine änliche Komposition mit ähnlicher Wirkung.

       

      Orthogonalkomposition

      Wenn sich die Bildgegenstände an der Mittelsenkrechten orientieren, dann wird so eine Betonung gesetzt, die eher nach oben verweist. Je nach Ausformung könnte auch eine instabile oder eine symmetrische Situation geschaffen werden.

       

      Spiralkomposition

      In Form einer Spirale werden hier die Bildobjekte angeordnet. Dies vermittelt eine starke Dynamik und Dramatik. Das Zentrum der Spirale wird betont.

       

      "all over"

      Verlässt man das Bildkonzept, das von einem "Fenster in die Welt" ausgeht, also etwas Sichtbares mit Hilfe der Perspektive darstellt, dann bleibt immer noch ein Oben und Unten im Bild als Lagebezeichnung übrig, was im Sinne einer abstrakten Landschaft oder auch ohne gegenständlichen Bezug als rein konkretes Bild aufgefasst wird. Dies resultiert wahrscheinlich aus dem Malprozess auf dem Bildträger, der an der Wand hängt oder auf der Staffelei steht, also senkrecht vor dem Künstler.

      Jackson Pollock hat seinen Bildträger auf den Boden gelegt und so eine ganz andere Herangehensweise genutzt, die ohne gegenständliche oder perspektivische Bezüge auskommt und auch das Oben und Unten vermeidet. In dem unten aufrufbaren Video wird er bei der Arbeit gezeigt. 

      "Das All-over-Painting (englisch all over: über alles hinweg) (auch All-over-Malerei, Allover-Malerei, All-over-Prinzip) ist (zumeist bei modernen Gemälden) eine flächendeckende Malerei ohne dominante Punkte, ohne Hauptmotiv, ohne räumliche Wirkung und ohne Hinweis, wo oben oder unten ist. Die Komposition lässt sich über den Rahmen bzw. Rand hinaus fortsetzen."

      https://de.wikipedia.org/wiki/All-over-Painting

    • 4.6 d) Proportion

       

      Bildformat

      Der Bildträger (Leinwand, Papier, Holz ...) besitzt eine bestimmte Form, meistens rechteckig. Diese Form besitzt schon eine Basiswirkung. So werden Querformate eher mit dem horizontalen Drehen des Kopfes beim Betrachten einer Landschaft verbunden. Die Form unseres Kopfes bzw. die Lage der Augen ermöglicht uns bereits einen horizontalen Blickwinkel von ca. 170 Grad. Bei starrem Blick nach vorn sehen wir schemenhaft z.B. eine Hand sehr früh, die sich von hinten am Kopf vorbei nach vorne bewegt. Der vertikale Blickwinkel ist dagegen deutlich eingeschränkter, die Augen liegen tiefer im Kopf, sodass die Stirn den Blick nach oben einschränkt.

      Das Quadrat besitzt eine eher ausgewogene, ruhige Basiswirkung.

      Der Kreis und ein Oval fallen durch ihre seltene Form auf.

      Das Hochformat wirkt besonders bei schmalen Varianten eher instabil und somit auffällig und etwas dynamisch. Dies resultiert auch aus der nötigen Blick- und Kopfbewegung beim Betrachten (s.o.).

      Seitenverhältnisse

      Ein "ausgewogenes Seitenverhältnis" kennen wir als 3:2 Proportion vom DIN A4 Blatt (20 x 29,7 cm), vom klassischen Kleinbildformat der Fotografie oder beim Film (24 x 36 mm). Das 16:9 bzw. 4:3 Format ist über die TV-Monitore und die Smartphone-Kameras mit ihre Videofunktion verbreitet. Beide Formate sind für uns gewohnt und werden so auch als normal, vielleicht auch schön, wahrgenommen. Sie entsprechen aber nur annähernd dem Goldenen Schnitt (1:1,618). DIN A4 müsste auf 18,35 x 29,7 cm und 4:3 auf 4:2,47 gekürzt werden. (Ohne mit dem Taschenrechner die Proportionen zu berechnen, lässt sich im Alltag der Goldene Schnitt mit dem Verhältnis von ca. 3:2 "definieren". Das ist zwar falsch, aber hilfreich.)

      Der Goldene Schnitt

      Der Goldene Schnitt ist eine besondere Art, Dinge aufzuteilen oder zu gestalten, die als besonders angenehm oder ästhetisch empfunden wird. Man teilt etwas in zwei Teile so, dass das Verhältnis des Ganzen zum größeren Teil dasselbe ist wie das Verhältnis des größeren Teils zum kleineren Teil. Es ist eine Art, die als harmonisch oder schön betrachtet wird und oft in Kunst, Architektur und Natur vorkommt. Es wird manchmal durch das Verhältnis 1:1,618 dargestellt. Es ist ein Prinzip, das seit vielen Jahrhunderten in der Kunst und im Design verwendet wird, um visuelle Harmonie zu schaffen.

      In vielen Bildern finden sich Proportionen von Bildinhalt zum Rand, die dem Gldenen Schnitt nahekommen (Faustregel: 1/3 zu 2/3). Dies kann in der Planung des Bildes so konzeptioniert worden zu sein, es kann aber auch unterbewusst im Malprozess so bestimmt worden sein. Wir sehen es aber schließlich im fertigen Bild und reagieren zumindest unbewusst darauf.

       

      Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/21/Caspar_David_Friedrich_-_Der_M%C3%B6nch_am_Meer_-_Google_Art_Project.jpg